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Behind the article: Die Welt in Farbe

18. Juli 2014 - Martin Breutmann
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Hallo! Mein Name ist Martin Breutmann und ich habe in der aktuellen fotoforum-Ausgabe Juli/August 2014 den Bericht zur Ausstellung „Die Welt um 1914 – Farbfotografie vor dem Großen Krieg“ geschrieben, die vom 1. August bis 2. November 2014 im Martin-Gropius-Bau in Berlin zu sehen ist.

Im Fernsehen hatte ich vor Jahren, eher zufällig, einen Bericht über Fotografien aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gesehen. Ich hatte mittendrin eingeschaltet, sah scheinbar colorierte Bilder, wie man sie aus alten Büchern kennt, wurde unterbrochen und dann war die Sendung auch schon vorbei. Ein Name blieb mir besonders im Gedächtnis: Albert Kahn. Dieser Mann spielt eine zentrale Rolle in der Ausstellung. Nun liegt die Pressemitteilung vor mir und beim Lesen ist der Name plötzlich wieder da: Albert Kahn.

Es ist schon spät, als ich beginne den Artikel zu schreiben. Für solche Themen brauche ich Ruhe, ein Telefon, das nicht klingelt und einen freien Kopf ohne die vielen kleinen Ablenkungen des Alltags. So tauche ich ein in die Zeit vor einhundert Jahren, als Albert Kahn, der studierte Literaturwissenschaftler, sich regelmäßig mit Intellektuellen, Politikern und Künstlern seiner Zeit auf seinem Anwesen in Boulogne-Billancourt nahe Paris trifft.

Albert Kahn war selbst kein Fotograf, aber fasziniert von der Fotografie. Er erkannte die Macht, die in der Erfindung der Brüder Auguste und Louis Lumière steckte. Mit ihrem 1907 vorgestellten Autochrome-Verfahren ließ sich die Welt in Farbe zeigen. So wie sie ist. Und so schickte er Fotografen rund um die Welt, die in seinem Auftrag die kulturelle Vielfalt Europas, Asiens und Afrikas dokumentierten. Er konnte es sich leisten: Albert Kahn war Bankier und einer der reichsten Männer im Europa des beginnenden 20. Jahrhunderts. Von 1908 bis 1930 baute Albert Kahn das damals größte ethnologische Foto- und Filmprojekt auf: Les Archives de la planète – Die Archive des Planeten. Es umfasst mehr als 70.000 Farbfotografien und 100 Stunden Filmaufnahmen. 
China, Peking, Yiheyuan, Garten der Harmonie, Marmornes Schiff Quinyanfang (Schiff der Heiterkeit), fotografiert am 29. Juni 1912 von Stephane Passet. Albert Kahn, Les Archives de la planete; © Musee Albert-Kahn, Departement des Hauts-de-Seine
Brothändler auf dem Markt in Bosnien-Herzegowina, Sarajevo, fotografiert am 15. Oktober 1912 von Auguste Leon. Albert Kahn, Les Archives de la planete.
Brothändler auf dem Markt in Bosnien-Herzegowina, Sarajevo, fotografiert am 15. Oktober 1912 von Auguste Leon. Albert Kahn, Les Archives de la planete; © Musee Albert-Kahn, Departement des Hauts-de-Seine
Mongolei, nahe Ulaanbaatar, wahrscheinlich Damdinbazar, die achte Inkarnation des mongolischen Jalkhanz Kuthugtu, fotografiert von Stephane Passet am 17. Juli 1913. Albert Kahn, Les Archives de la planete; © Musee Albert-Kahn, Departement des Hauts-de-Seine
Brahmanen und Sadhus, Indien, Bombay, fotografiert von Stephane Passet am 17. Dezember 1913. Albert Kahn, Les Archives de la planete; © Musee Albert-Kahn, Departement des Hauts-de-Seine

Aber was veranlasst einen Menschen, solch ein Projekt anzugehen? Spontan suche ich nach Vergleichen in der Gegenwart. Die gibt es durchaus: Google lässt heute auch die Welt fotografieren – für Google Maps. Allerdings mit einer ganz anderen Intention: nicht um ihre kulturelle Vielfalt zu zeigen, sondern um sie zu vermessen und mit Geodaten Geld zu verdienen. Bei Facebook sind es die Nutzer selbst, die ihre Lebenswelt bis ins Privatleben hinein im Netz verbreiten. Albert Kahn hatte eine ganz andere Vision: Er wollte mit seinem Bilderschatz einen Beitrag zur Völkerverständigung leisten. Der multikulturell interessierte Kahn nutzte die Farbfotografie für seine Friedensmission. Den Ausbruch des Ersten Weltkriegs konnte auch er nicht verhindern.

Inzwischen ist es deutlich nach Mitternacht, mein Artikel muss am nächsten Tag in den Druck. Aber ich finde keinen Schlaf, meine Neugier ist geweckt, ich recherchiere im Netz, erfahre unter anderem bei Wikipedia http://de.wikipedia.org/wiki/Albert_Kahn, dass Albert Kahn durch die Weltwirtschaftskrise 1929 sein gesamtes Vermögen verloren hat und 1940 nach der deutschen Besetzung Frankreichs vollkommen verarmt gestorben ist. Sein Bilderschatz ist weitgehend erhalten und wird heute im Musée Albert-Kahn in Paris aufbewahrt. Im Web finde ich noch eine Menge weiterer Fakten, aber je mehr ich über Albert Kahn lese und erfahre, umso mehr Fragen stellen sich mir nach dem Menschen und der Person Albert Kahn. Was für ein Typ war er? Wie ging er mit den Erfolgen und den Niederlagen in seinem Leben um? Wie fand er seine Rolle? Hätte er vielleicht auch selbst gerne als Fotograf ferne Länder bereist? Jetzt habe ich so viel gelesen, dass die weißen Seiten kaum noch ausreichen für die Fülle der Informationen. Aber ich habe immer noch mehr Fragen. Inzwischen ist der Artikel fertig, draußen beginnt es bereits zu dämmern. Voller Fragen und Gedanken gehe ich ins Bett und schlafe ein mit dem Vorsatz, diese Ausstellung auf keinen Fall zu verpassen …

Ausstellung: Die Welt um 1914 – Farbfotografie vor dem Großen Krieg; Martin-Gropius-Bau Berlin, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin, 1. August bis 2. November 2014; 
Öffnungszeiten: Mittwoch bis Montag 10 bis 19 Uhr, Dienstag geschlossen, bis 10. August 2014 täglich 10 bis 20 Uhr
www.gropiusbau.de

Zur Ausstellung ist auch ein Katalog erschienen: 
Zur Ausstellung „Die Welt um 1914 – Farbfotografie vor dem Großen Krieg“ ist bei Hatje Cantz ein Katalog mit einer Auswahl an Bildern aus dem Archivg „Les Archives de la planète" von Albert Kahn erschienen.
1914 – Welt in Farbe. Farbfotografie vor dem Krieg 
Hatje Cantz Verlag, 144 Seiten, 101 Abbildungen
Maße: 24,3 x 28,2 cm, ISBN: 978-3-7757-3644-2 
Buchhandelsausgabe: 24,80 €, Museumsausgabe: 16,00 €

 

+++ Eintrittskarten-Verlosung »Die Welt um 1914« +++

Zum morgigen Ausstellungsstart verlosen wir 7 x 2 Eintrittskarten. Um teilzunehmen, schicken Sie uns einfach bis zum 10. August eine Mail mit dem Betreff »Die Welt um 1914« und Ihrer vollständigen Adresse an aktion@fotoforum.de. Die Gewinner erhalten die Eintrittskarten von uns per Post.

Wir wünschen viel Erfolg =)
Als ich den Artikel das erste Mal gelesen habe, habe ich relativ schnell weiter geblättert, weil ich es nicht so spannend fand. Jetzt war ich in Berlin und habe mir die Ausstellung angeschaut und war fasziniert. Manchmal könnte ich nicht glauben, dass zwischen den Bildern und heute "nur" 100 Jahre liegen. Außerdem habe hier bewusst mal auf Details geachtet wie Kleidung oder ähnliche Feinheiten im Hintergrund. Sie verfeinern noch den Eindruck, den man beim Btrachten der Bilder bekommt. Meiner Meinung nach empfehlenswert.
P.S. Auch die Ausstellung im Gropius-Bau gegenüber von Walker Evans ist sehr empfehlenswert.