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Die große Unbekannte

25. Juni 2014 - Christian Beck
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Einen Schatz finden, ohne danach gesucht zu haben, ist fast wie der Wunsch nach einem Lottogewinn, ohne überhaupt einen Tippschein ausgefüllt zu haben. Der amerikanische Historiker John Maloof hatte Glück, als er - eigentlich auf der Suche nach Aufnahmen für eine Arbeit über das historische Chicago - über einen kleinen Schatz stolperte: den fotografischen Nachlass des Kindermädchens Vivian Maier.

Unentwickelte Filme, bergeweise Negative, Papierabzüge, 8-mm-Filme, nach und nach puzzelte Maloof den fotografischen Nachlass von Vivian Maier zusammen. Von dem was Maloof fand, was er nicht fand und was er finden wollte, davon handelt der Dokumentarfilm Finding Vivian Maier.

Notizen, Rechnungen, Ansichtskarten: Vivian Maier schaffte es selten Dinge wegzuwerfen. Anhand vieler kleiner Informationsschnipsel rekonstruierte John Maloof ihre Vergangenheit.

Vivian Maier selbst hätte diesen Film wahrscheinlich nicht gewollt, da sind sich alle, die sie kannten, einig. Das Kindermädchen war die typische Straßenfotografin: Sie hatte keine Probleme auf Menschen zuzugehen, in deren Privatsphäre einzudringen, doch sie selber wollte kaum wahrgenommen werden.
 
Die Geschichte dieses Films beginnt vor fast zehn Jahren. John Maloof entdeckte bei einer Auktion die ersten Negative aus dem Nachlass von Vivian Maier, die eigentlich als Kindermädchen in New York und Chicago arbeitete. Er erkannte die Qualität der Aufnahmen und schaffte es Tausende von Negativen und viele weitere noch nicht entwickelten Filmrollen in seinen Besitz zu bringen. 150.000 Aufnahmen, so schätzt Maloof, umfasst sein Archiv mittlerweile.

Die Geschichte, die sich daraus entwickelte, ging um die Welt. Denn Maiers Blick für die Alltäglichkeit, ihr unaufgeregter und dokumentarischer Stil, dringt gerade weit genug in die Privatsphäre der von ihr porträtierten Menschen ein, um die Persönlichkeit im Foto durchschimmern zu lassen. Vivian Maier gilt seither als eine der Street-Fotografen überhaupt. Sie selbst sah sich schlicht als „die geheimnisvolle Frau“, buchte sich in Hotels unter falschem Namen ein, bleibt undurchschaubar.
African-American Man on Horse. NYC Foto: Vivian Maier, Maloof Collection
Woman Hat NY Public Library. Foto: Vivian Maier, Maloof Collection

Während der erste Teil des Filmes sich der Entdeckung der Fotografien, den ersten Ausstellungen ihres Nachlasses und der darauf folgenden Aufmerksamkeit widmet, verfolgt John Maloof im weiteren Verlauf zusammen mit Charlie Siskel die Spuren, die Vivian Maier im Laufe ihres Lebens hinterlassen hat.

Sie sprechen mit Menschen, versuchen die Persönlichkeit der Fotografin zu fassen, denn es scheint, dass Vivian Maier zeitlebens eine Rolle gespielt hat. In ihren Fotos findet sich ihre Vergangenheit, ihre Selbstporträts zeigen jedoch nur die inszenierte Künstlerin. Dabei dringen die Filmemacher immer tiefer vor, wagen sich jedoch auch immer mehr auf ein Terrain, das nur aus Hörensagen besteht. Da ist die Rede von der dunklen Seite der Künstlerin. Gewalttätig soll sie gewesen sein, einzelne Episoden werden berichtet - und der Film entfernt sich dadurch leider immer mehr vom eigentlichen Werk der Künstlerin, liefert Interpretationen der Person Vivian Maier, ohne sich am Ende wirklich festlegen zu können.

 
Der Film sucht die Person Vivian Maier – am Ende bleibt das Mysterium einer Fotografin, die niemand wirklich zu kennen scheint und ein leicht schales Gefühl, vielleicht doch zu tief in die Privatsphäre der Verstorbenen eingedrungen zu sein.
[video:http://www.youtube.com/watch?v=8zca4eSItyk]
 
Der Film ist auf Englisch mit deutschen Untertiteln in ausgewählten Kinos zu sehen. Der Bildband Vivian Maier - Street Photographer (ISBN: 978-1-57687-577-3) ist im Power House Verlag erschienen.


 
wow
Ich habe den Bildband gekauft. Wirklich tolle Bilder. Schade, dass Vivian Meier zu Lebzeiten diese Anerkennung nicht erfahren hat, die sie jetzt bekommt.
heute habe ich mir den film im kino angesehen. meine meinung : absolut empfehlenswert !
es ist sehr interessant, wie maloof an die sachen gekommen ist. aber wie julian weber schrieb - der film driftet irgendwann ab. auch das ist interessant, nur scheint vivian maier überall einen anderen eindruck hinterlassen zu haben. gerne hätte ich mehr von der arbeit der scanner und entwickler berichtet gesehen. trotz der traurigkeit die der film herüberbringt, weil sie ihr werk selbst nie auf papier gesehen hat, würde ich mir den film noch öfter anschauen....
gruß, andreas
Ich habe mir den Film letzte Woche im Kino angesehen, nachdem ich ihre Bilder schon kannte, aber über sie nicht viel wusste. Ihre Bilder sind wirklich sehr beeindruckend, ein Riesentalent!! Ich fand den Film gut, aber ich glaube nicht, dass sie es gewollt hätte, dass man so viel über ihr Privatleben zeigt. Sie war wohl eine sehr schwierige Person, die einiges mitgemacht hat - ich nehme an, dass sie nicht ohne Grund so war, wie sie beschrieben wurde. Ihre Fotos sind aber unbeschreiblich und ich hätte gerne noch mehr davon gesehen!