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Thomas Struth: Nature & Politics // Verlosung

16. August 2016 - Marc Peschke
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Thomas Struth fotografiert leise Bilder. Ohne dramatische Effekte bestechen die Aufnahmen durch Raum und Struktur – und lassen sich schwer begreifen. Der Martin Gropius Bau Berlin zeigt aktuell die von 2007 bis 2015 entstandene Serie.

Der in Düsseldorf und Berlin lebende Fotokünstler Thomas Struth hat alles erreicht: Er gehört seit vielen Jahren zu den bedeutendsten Vertretern der zeitgenössischen deutschen Fotokunst – und das ohne je auf den dramatischen Effekt zu setzen. Seine zumeist großformatige Fotografie der jüngsten Jahre will vor allem Analyse sein: Analyse unserer globalisierten Welt. 
Tokamak Asdex Upgrade Interior 2, Max Planck IPP, Garching, 2009, Chromogenic print 141,6 x 176 cm, Thomas Struth

Nature & Politics heißt eine Ausstellung von Thomas Struth, die derzeit im Berliner Martin-Gropius-Bau seine neuesten Arbeiten präsentiert. Diese sind aber nur vor dem Hintergrund seines bisherigen Werkes zu begreifen: Es sind Forschungseinrichtungen, ein Erlebnispark oder auch sakrale Räume, höchst unterschiedliche Orte, die Struth in den letzten Jahren fotografisch ins Licht gesetzt hat.
Was all diese Orte, diese neuen Bilder, mit Struths Gesamtwerk verbindet, ist die beinahe verstörende Kunstlosigkeit seines Blicks. Struths Bilder erweitern den Kunstbegriff, weil der Fotograf niemals den „ungewöhnlichen“ Blickwinkel sucht. Oder anders formuliert: Es ist in ästhetischer Hinsicht nichts Originelles in dieser großformatigen Fotografie, in diesen Bildern von Laboren, von Maschinen und Wissenschaftseinrichtungen. Wir sehen Technik, hochkomplexe Apparaturen, Kabelstränge und Leitungen, doch wissen wir nicht, wozu das alles – das ist womöglich das einzige Geheimnis dieser Bilder.
Vacuum Chamber, JPL, Pasadena 2013, Inkjet print 119,8 x 167,4 cm, Thomas Struth
Basilica of the Annunciation, Nazareth, 2014, Inkjet print 148,6 x 211,4 cm, Thomas Struth

Die neuen Fotografien Struths sind als Symbole dafür gedeutet worden, wie sehr die Technik den Menschen überfordern kann. Von den großformatigen Fotografien selbst kann man nicht überfordert sein: Sie erzählen von einem Fortschrittsglauben, doch weigern sie sich konsequent, selbst fortschrittlich zu sein: Diese Art monumentaler Fotografie – 
die zum Teil riesigen Bilder entstehen mit der Plattenkamera – ist seit Jahren bekannt.
So stehen wir vor jenen überaus detailreichen, überaus präzise fotografierten Messanlagen und Raumfahrtstationen, betrachten ein zerstörtes Haus auf den Golanhöhen – und fragen uns, wohin uns der Künstler wohl führen will. In Interviews sagt er, es sei eine besondere Energie, die er darstellen möchte. „Wenn der dargestellte Gegenstand nur das ist, was man sieht, dann ist es zu wenig“, sagt Struth. Doch was zeigt er uns wirklich, was darüber hinausgeht?
Research Vehicle, Armstrong Flight, Research Center, Edwards 2014, Inkjet print 145,8 x 196,7 cm, Thomas Struth
Seestück, Donghae City 2007, Chromogenic print 167,5 x 212,2 cm, Thomas Struth

Es ist beinahe schon ein Klischee, von einer Kunst zu sprechen, die mehr Fragen stellt, als Antworten zu geben. Doch genau solche Kunst bietet Struth in seiner Ausstellung Nature & Poli­tics, die Arbeiten aus den Jahren 2007 bis 2015 zusammenbringt. Es gehört, seit Jahren schon, zum Wesen der Kunst Struths, wenig Erkenntnisgewinn zu bereiten, ja kaum eine besondere fotografische Handschrift zu entwickeln. Man kann diese Haltung als unkritisch oder wenig originell kritisieren, doch bildet sie womöglich genau dadurch unsere Zeit sehr deutlich ab. 
Hushniya, Golan Heights 2011, Inkjet print 118,3 x 146,3 cm, Thomas Struth
Ride, Anaheim 2013, Chromogenic print 218 x 331,3 cm, Thomas Struth

Seine Bilder berauschen nicht, das war schon früher so. Blicken wir also zurück in das mehrere Dekaden umspannende Werk von Thomas Struth: Schon seine frühen Straßenaufnahmen zeigen nichts als den urbanen Alltag: Straßen, Brücken, Plätze, die in ihrer Normalität aus dem Normalen herausgehoben werden. Objekte, die gewöhnlich kaum wahrgenommen werden – als Fotokunst machen sie den Raum sichtbar, in dem wir leben. „In jeder Stadt gibt es bestimmte Straßen, Gebäude und architektonische Situationen, die man als Kristallisationspunkte bezeichnen könnte, in deren Ausstrahlung sich ein kulturelles Phänomen wie zu einem Brennpunkt verdichtet offenbart“, sagt Thomas Struth.
1954 in Geldern am Niederrhein geboren, lag die Entscheidung, an der Düsseldorfer Kunstakademie zu studieren, nicht allzu fern. Thomas Struth begann 1973 in der Klasse bei Gerhard Richter, um erst danach in die Fotoklasse von Bernd Becher zu wechseln. Die spätere Klasse von Bernd und Hilla Becher, das war damals der magische Ort der Fotokunst. Hier wurde von 1976 an Fotogeschichte geschrieben. Hier arbeiteten die zukünftigen Stars der deutschen Fotografie als Studierende an ihren ersten Projekten. Neben Thomas Struth unter anderem Laurenz Berges, Elger Esser, Andreas Gursky, Candida Höfer, Axel Hütte, Simone Nieweg, Thomas Ruff, Jörg Sasse und Petra Wunderlich. 
Cinema, Anaheim 2013, Chromogenic print 242,1 x 180 cm, Thomas Struth
Tokamak Asdex Upgrade Periphery, May Planck IPP, Garching 2009, Chromogenic print 109,3 x 85,8 cm, Thomas Struth

Vielleicht sind es bis heute die Museumsbilder Struths, die am meisten bestechen. Sie haben das Verhältnis von Museumsbesuchern zu den Kunstwerken zum Thema. „Die Museen waren fast immer brechend voll“, sagt Struth, „und das veranlasste mich, mir die Frage zu stellen, was die Menschen, wenn sie vor diesen historischen Gemälden stehen, eigentlich suchen. Für mich ist das Museum ein Ort, der mir erlaubt, meine Instrumente, meine Wahrnehmung zu schärfen. Welcher Nutzen lässt sich aus Bildern der Vergangenheit ziehen, inwieweit können sie zu interessanten oder produktiven Ideen für die Zukunft anregen?“
Von den frühen, stets menschenleeren Straßenbildern bis heute ist die Analyse der Welt ein wichtiges Ziel der Fotografie von Thomas Struth geblieben, wie auch bei den neuesten Bildern, die jetzt in Berlin zu sehen sind. „Ich wollte den Prozess der Imagination und Fantasie untersuchen …“, so Struth. „Es geht mir darum, wie etwas, das zuvor nur ein Gedanke war, sich materialisiert und Teil der Wirklichkeit wird. ‚Sich etwas ausmalen‘, dieser Ausdruck beschreibt ja schon die Möglichkeit des Gehirns, in Bildern zu denken“, so äußert sich Struth über seine neuen Werke. 
Aquarium, Atlanta 2013, Chromogenic print 207,5 x 357 cm, Thomas Struth

Die Natur ist ebenfalls ein Thema – gerade im Zustand ihrer Erforschung. Er zeigt uns etwa Forschungslaboratorien, in denen an der Zukunft der Menschen gearbeitet wird, zeigt uns ein Meeres­aquarium in Atlanta als verführerische Zukunftsvision, doch stets bleibt der Fotograf distanziert: „Mein Vorteil ist die Distanz“, so hat Struth einmal sein Werk resümiert. Betrachten wir die Fotografien von Thomas Struth aber schließlich auch als das, was sie in gleichem Maße sind: Als Bilder, die in erster Linie Sinnbild für die Macht der Bilder selbst sind, die vor allem für sich selbst stehen.

Thomas Struth – Nature & Politics
Martin-Gropius-Bau Berlin
Niederkirchnerstraße 7
Bis 18. September
Mittwoch bis Montag 10 bis 19 Uhr
www.gropiusbau.de

fotoforum verlost drei Kataloge Thomas Struth
VERLOSUNG:
Was fasziniert Euch an den Bildern von Thomas Struth?
Schreibt uns Eure Antwort hier im Blog. Unter allen Antworten verlosen wir drei Kataloge zur Ausstellung im Martin-Gropius-Bau. Einsendeschluss: 31.08.2016
 
Seine Bilder sind leise, aber für das eigene Auge ein Feuerwerk - man betrachtet still die Aufnahmen und ist fasziniert was man so alles in seinen Bildern sieht. Es sind Bilder welche man sich nicht nur einmal anschaut, auch weil man immer wieder eine andere Sichtweise bekommt.
Zugleich bin ich immer wieder auch von der einfach Art zu fotografieren begeistert, siehe Hushniya, Golan Heights 2011 oder Aquarium, Atlanta 2013.
Leider ist die Entfernung zu groß, sonst wäre ich in der Ausstellung.
Gruß Herbert
Ja, es lohnt sich bestimmt die Ausstellung anzuschauen. Denn ich denke, dass die Bilder erst im Großformat ihre volle Wirkung entfalten und die hohe Auflösung und Qualität sichtbar wird, die mit der Plattenkamera erreicht wird. Bei diesen Formaten macht es einfach Spaß den Bildabstand zu ändern und in die Details einzutauchen.
Ich finde, dass Struth vor allem ein großartiger Handwerker ist. Die künstlerische Lobeshymnen und Interpretationen gehen mir dagegen etwas zu weit. Ich habe das Gefühl, dass im Kunstbetrieb hier besonders die Mitglieder der Düsseldorfer Schule von den Kritikern und Galeristen bevorzugt behandelt werden.
Bilder, in denen die Augen auf Wanderschaft gehen können und immer wieder Neues entdecken. Bilder, die durch die großen Formate bestimmt eine ganz besondere Wirkung und Ausstrahlung auf den Betrachter haben.
Ähnlich wie die Bilder von Gursky benötigen die Arbeiten von Thomas Struth großformatige Präsentationen, um eine optimale Wirkung auf den Betrachter erzielen zu können. In kleinem Format, sei es bei Abbildungen in Zeitschriften oder auf Postkarten, verlieren die Werke beider Künstler stark an Wirkung. Während Gurskys Bilder eher durch eine strenge Ordnung mit teilweise stark grafischem Charakter gekennzeichnet sind, ist es bei Struth eine recht chaotische Anordnung vieler Einzelelemente, durch die das Interesse des Betrachters geweckt wird. Dies gilt zumindest für die Arbeiten der aktuellen Ausstellung "Nature and Politics". Über die Bildaussagen mag man spekulieren, bei den Arbeiten von Gurksy oder Candida Höfer fällt mir persönlich eine Beurteilung deutlich leichter.

Lohnend wird ein Besuch der Ausstellung allemal sein, da nur im Großformat der ungeheure Detailreichtum der Fotografien erkennbar ist.
Ich würde sagen natürlich seine Bilder, seine relativ neutrale Bearbeitung, die Motivauswahl, die vielen Details und seine Perspektiven die er wählt.
Das gefällt mir wirklich gut.
Gruß Nico
Administrator
Vielen Dank für Eure Antworten und die Teilnahme!
Die Kataloge gehen heute noch an die Gewinner raus :)

VG
Christian
Viiiieeelen Dank für den schönen Katalog!

LG Dorothea