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Nur mal zeigen

Dieter F.Grins
„Die letzte Locke...“


...in diesem Jahr. Aufnahme vom 26.02.2023

  Haareis – ein Naturphänomen

Gertrud Grins

Um es vorweg zu sagen, Haareis ist keine neue Sorte Eiscreme. Haareis ist ein selten zu beobachtendes  Naturphänomen, das Alfred Wegener 1918 entdeckte und beschrieb. Die Erforschung dieser ungewöhnlichen Form des Eises ließ aber auf sich warten. 2015 erschien in der Zeitschrift GEO ein Artikel mit dem Titel:
Rätsel um Haareis-Bildung auf totem Holz gelöst.

Den Bericht kannte ich nicht. Mir war Haareis völlig fremd.

Das änderte sich im Januar 2023 an einem schneelosen Wintertag. Mein Mann und ich umrundeten morgens bei leichtem Frost auf einem Trampelpfad den Alde Berg in Wegberg-Arsbeck. Wir stutzten. Auf einem toten Ast leuchteten uns weiße, pilzartige Gebilde entgegen. Die waren uns am Vortag noch nicht aufgefallen. Wir vermuteten eine uns unbekannte Art von schnell wachsenden Winterpilzen. Darüber wollten wir Genaueres wissen. Also machte ich zunächst einmal einige Handy-Fotos davon. Die schickte ich einer pilzkundigen Freundin. Von der kam die Meldung:
Das könnte Haareis sein.

Inzwischen sind wir sicher: Es war Haareis. Wir haben es bei gleichen Wetterbedingungen an weiteren sechs Vormittagen bei unseren Rundgängen gefunden. Wie beim Pilze sammeln war inzwischen unser Blick geschärft. Bald stellten wir fest, es lohnt sich nur in dem Bereich Ausschau zu halten, wo der Boden feucht und abgestorbene Äste im Laub liegen.

Die Fotos zeigen die Schönheit der filigranen, bizarren, leicht vergänglichen Gebilde, die zurecht auch als Eiswolle bezeichnet werden.

Warum findet man Haareis selten?

Weil es zur Bildung spezieller Bedingungen bedarf. Es entsteht, wenn

·      die Außentemperatur kurz unter dem Gefrierpunkt liegt;

·      das Totholz in den Mischwäldern feucht und windgeschützt ist;

·      das Wasser im Holz selbst nicht gefroren sondern noch flüssig ist;

·      sich im Holz ein spezieller Pilz, der Exidiopsis Effusa, angesiedelt hat;

·      der Zersetzungsprozess im Holz noch aktiv stattfindet.

Was ist zu beobachten?

·      Aus den Holzporen (Holzstrahlen) tritt molekulares Wasser aus, das an der Luft erstarrt.

·      Die Eisnadeln sind ca. 0,02 mm dick (dünner als Menschenhaar)

·      Sie wachsen 5 bis 10 mm in der Stunde

·      Sie werden zwischen 30 und 100 mm lang

Wie ist das zu erklären?

Die Zellwände des Holzes bestehen aus Zellulose, Hemizellusose und Lignin. Beim Zersetzungsprozess werden die Zellwände abgebaut. Es entsteht Kohlendixidgas. Daran ist der Exidiopsis effusa Pilz beteiligt. Er schützt sich davor selbst einzufrieren, indem er das Wasser im toten Holz nach außen drängt. Dabei unterstützt ihn das Kohlendioxid. Pilz und Gas drücken die Wassermoleküle Richtung Borke. Wo sie gerissen ist oder fehlt, treten die Wasserteilchen an die Oberfläche und gefrieren.  Das Lignin steuert die erforderlichen Kristallisationskeime bei. Solange in den abgestorbenen Ästen freies Wasser vorhanden ist, wird es nach außen geschoben und die Eishaare wachsen. Sobald die Temperatur steigt, schmelzen sie schnell wieder dahin.

Sie kennen wahrscheinlich das Gedicht „Gefunden“ von J.W. Goethe:

Ich ging im Walde so für mich hin, und nichts zu suchen, das war mein Sinn.

So erging es uns, als wir durch den naturbelassenen Mischwald unserer Heimat unterwegs waren. Wir fanden im Winter kein Blümlein im Schatten steh‘n sondern Haareis von bezaubernder Schönheit.

Quellenangabe:
1. Spektrum der Wissenschaft, 2014 Nr. 1, Blüten und Bänder aus Eis von James Carter
2. Spektrum der Wissenschaft, 06.12.2022, Die faszinierende Physik von Haareis von Hans-Joachim Schlichting
3. Zeitschrift GEO, 29.12.2022, EXIDIOPSIS EFFUSA, Seltenes Naturschauspiel: So entsteht haariges Eis
    von Solvejg Hoffmann
Kategorie: Diverses
Rubrik: Nur mal zeigen
Hochgeladen: 16.03.2023
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Kamera: Canon EOS R
Objektiv: Canon EF 100mm f/2.8L Macro IS USM
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Kommentare zum Bild

Michael Dehms
16.03.2023

Jetzt wissen wir es ganz genau. Vielen Dank für Deine Mühe und detaillierte Beschreibung. Fotografien vom Haareis waren ja in der letzten Zeit häufiger im Forum zu sehen. Nun weitet sich der Blick auf dieses Phänomen. Dank Deiner Beschreibung der Voraussetzungen zur Entstehung können wir nun gezielter suchen, ggfls. auch schon im Vorfeld der kalten Tage die Landschaft diesbezüglich checken.
Gruß Michael

Wolfgang Kuhn
16.03.2023

Liebe Gertrud, lieber Dieter
ein ganz wundervoller Beitrag in Bild und Text.
Ganz herzlichen Dank dafür.
Ich denke er hat dazu beitragen das wir alle jetzt verstanden haben was da passiert.
Eine kleine Frage habe ich allerdings, vor dem Hintergrund das ich bei meinem Trompetenflechtenfoto auch gerade einen Fehler entdeckt habe, den ich noch korrigieren muß.
Stimmt die Angabe zum Durchmesser der Eisnadeln von 0,002mm? Das sind 2 Tausendstel Millimeter. Ein Menschhaar ist 0,06 mm dick, also 6 Hundertstel. ich vermute daher die Eisnadeln sind 2 Hundertstel als 0,02 mm dick. Kann das sein?
Lieben Gruß Wolfgang

Dieter F.Grins
16.03.2023

Hallo Wolfgang,
danke für dein scharfes Auge.
Da ist in der Tat eine 0 zufiel hineingeraten.
Es muss 0,02 mm sein. (ich werde es korrigieren)
BG Dieter

Jaspi
16.03.2023

So eine gute Beschreibung von Haareis hab ich bisher noch nicht gefunden. Auch schön zu lesen und mit einem Gedicht abgeschlossen.
Apropos Gedicht, das Bild gefällt mir wunderbar. Es ist schön dargestellt.
Liebe Grüsse
Jacqueline

Lothar Mantel
16.03.2023

Danke für den Abgesang an die kalte Jahreszeit. Auf dem Ast ist ein prächtiger Schopf gewachsen. Der graue Hintergrund ist optimal. Es wird Zeit, dass der Frühling kommt. Heute morgen musste ich nochmal meine Scheiben frei kratzen. ;-(

BG Lothar

brimula
16.03.2023

Einfach faszinierend...auch die Art der Entstehung...danke für die ausführliche Erklärung...

Gruss Brigitta

PeSaBi
16.03.2023

Ein seltenes und interessantes Phänomen, dem ich im Winter zuvor erstmals begegnen durfte ... da ja ganz viele Rahmenbedingungen stimmen müssen ist es sehr erfreulich, daß Du/Ihr das Phänomen gleich 6 x antreffen konntet, mir war das Glück bisher nur 1 x vergönnt ... Gratulation dazu !
HG - Petra

gatierf
17.03.2023

Es ist eindeutig Haareis und dazu noch ein sehr kunstvoll gestaltetes Motiv. Es braucht ein paar Minusgrade um das Phänomen in einem Laubwald am Totholz beobachten zu können und eine gute Beobachtungsgabe natürlich auch.
LG peter

Barbara Weller
18.03.2023

Die Natur ist ein toller Künstler und Deine Arbeit eine schöne Detailaufnahme.
LG, Barbara